Facebook und Donald Trump: Das beste Oversight Board wäre ein Parlament

Es ist schon ein kurioses Zwitterwesen, dieses Facebook Oversight Board. Kommt daher wie ein Super-Gericht, – mindestens Bundesverfassungsgericht plus Supreme Court mal fünf – ist aber eingerichtet, bestellt und bezahlt von Mark Zuckerberg, quasi dem Mark sein Privatgericht mit Weltjustizanspruch. Ben Smith, der Medienkolumnist der „New York Times“ hatte so eine Art galaktischen Rat vor Augen, als er das Gericht beschrieb, mit Hologrammen und Glitzeranzügen und so. Und tatsächlich: Auf der Bank sitzen hier Stars, „Guardian“-Denkmal Alan Rusbridger oder die ehemalige dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt. Aber die persönliche Glaubwürdigkeit der Richter kann nicht darüber hinweg täuschen, dass ihr „Board“ von Facebook bezahlt wird und sie quasi als freie Mitarbeiter mal eben darüber entscheiden dürfen, wie frei die politischen Rede sein darf, im Zentrum der Macht, in Washington, aber auch weltweit.

Eine Hand voll Fälle hat das Board bisher behandelt. In den meisten haben sie die Löschung von Posts aufgehoben. Und jetzt also der Fall aller Fälle, der Superfall für das Supergericht: Donald Trump, 35 Millionen Follower auf Facebook, 24 Millionen auf Instagram, zum Zeitpunkt des Vergehens: US-Präsident. Zwei Posts hat Trump am 6. Januar rund um den Sturm aufs Kapitol veröffentlicht. Einmal war’s ein Video, einmal ein Text. (Hier ist übrigens der Link zum Begründungstext der Entscheidung. Das ist durchaus lohnende Lektüre.)

In dem Videos hieß es, um 16.21 Uhr Ostküstenzeit, als die Irren gerade das Kapitol gestürmt hatten:

„I know your pain. I know you’re hurt. We had an election that was stolen from us. It was a landslide election, and everyone knows it, especially the other side, but you have to go home now. We have to have peace. We have to have law and order. We have to respect our great people in law and order. We don’t want anybody hurt. It’s a very tough period of time. There’s never been a time like this where such a thing happened, where they could take it away from all of us, from me, from you, from our country. This was a fraudulent election, but we can’t play into the hands of these people. We have to have peace. So go home. We love you. You’re very special. You’ve seen what happens. You see the way others are treated that are so bad and so evil. I know how you feel. But go home and go home in peace.“

Quelle: Facebook Oversight Board

Um 18.07 Uhr, als die Polizei gerade die Oberhand auf dem Kapitol hatte, schrieb Trump:

„These are the things and events that happen when a sacred landslide election victory is so unceremoniously viciously stripped away from great patriots who have been badly unfairly treated for so long. Go home with love in peace. Remember this day forever!

Quelle: Facebook Oversight Board

Facebook löschte beide Posts und verbannte Trump auf unbestimmte Zeit von der Plattform, weil er, so der Vorwurf, Gewalt befeuert und damit gegen Facebooks Regeln verstoßen habe. De-Platforming nennt man das. Anschließend rief Facebook das Board an und bat um eine Einschätzung. Haben wir das richtig gemacht? Und wie sollen wir jetzt weiter mit politischen Führern umgehen, die hetzen?

Auf dem Spiel stand bei dieser Entscheidung viel, politisch für die USA, aber auch für die Redefreiheit im Netz.

  • Denn: War die Entscheidung im Januar jetzt wirklich die Kehrtwende des Social-Media-Giganten beim Vorgehen gegen Hass und Hetze , die Läuterung, nach einer langen Zeit des Irrlichterns? Würde Mark Zuckerberg, der vom „Engagement“ lebt, jetzt glaubhaft entschlossen gegen Hass und Gewalt vorgehen – und auch durch sein Privatgericht bestätigt bekommen?
  • Ist irgendwo erkennbar, wo Facebook, diese gigantische Bühne für privat organisierten öffentlichen Diskurs, nun genau die Grenze zieht zwischen zulässiger und nicht zulässiger Rede, nicht nur, aber auch bei Politiker:innen? Donald Trump war der erste amtierende US-Präsident, der von der Plattform geworfen wurde. Aber im März hat Facebook den venezolanischen Präsidenten Nicolas Madura für 30 Tage suspendiert, weil der Unwahrheiten über Corona verbreitet hatte.
  • Und, prinzipiell, darf es überhaupt Facebook, ein Unternehmen, sein, das hier das Sagen hat? Ist es nicht Wahnsinn, hier ein zentrales Element des Rechtsstaats – die Rechtsprechung – zu privatisieren, selbst wenn ein Supergericht bestimmt, was geht und was nicht? Präziser: Darf Mark Zuckerberg entscheiden, was der Präsident der Vereinigten Staaten sagen darf und was nicht?

Das Oversight Board hat sich Mühe gegeben, lange angehört, gewägt und jetzt geurteilt. Rausgekommen ist in etwa das hier:

  • Ja, das erste Urteil der Facebook-Zensoren war richtig. Die Äußerungen Trumps verstoßen gegen die Facebook-Richtlinien, weil er jene preist, die gewalttätig sind: “We love you. You’re very special”. Und, die Randalierer seien “great patriots” man werde sich immer an diesen Tag erinnern. Damit ist die Sperre bestätigt. Angesichts der vorhersagbaren Wut der Rechten ist diese Haltung mutig. Für das Board wäre es einfacher gewesen, Trumps Rauswurf mit Bezug auf die Meinungsfreiheit zu kassieren.
  • Aber, und das ist der interessante Punkt, dieser Mut ist vorläufig, denn das Board empfiehlt unverhohlen eine zeitliche Begrenzung des Rauswurfs. Die Strafe, also das De-Platforming, komme völlig willkürlich daher, das gehe gar nicht. Art und Umfang solcher Strafen müssten viel präziser definiert werden. Binnen sechs Monaten soll Facebook nun darlegen, wie es weiter mit der Strafe verwahren will, im Fall Trump, aber auch grundsätzlich. Konkret bedeutet das: Jetzt ist Zuckerberg am Zug. Er ist in der luxuriösen Position, dass er Trump demnächst nach Gutdünken wieder Stück für Stück auf die Plattform lassen kann. Gleichzeitig ist die Mahnung des Boards, das interne Facebook-Rechtssystem sauberer zu gestalten, auch eine Chance für den Konzern.
  • An mehreren Stellen in seiner Begründung hat das Board Transparenz von Facebook eingefordert, bei seinem Vorgehen, bei seinen Sanktionen. Auch  an diesen Transparenzvorgaben wird Facebook sich messen lassen müssen. Allerdings kann man sich durchaus auch fragen, was der Sinn eines Super-Boards ist, das zwar urteilt, die Entscheidung de facto aber wieder an den Superchef zurückspielt.

Aber was bdeutet diese Entscheidung außerhalb von Facebook für den demokratischen Diskurs? Die Kritik an Facebook nach dem Trump-Rauswurf war ja gewaltig. Wie könnt Ihr, wie kann Facebook es wagen, über das Rederecht von gewählten Politiker:innen zu entscheiden? Hier muss die Politik die Regeln setzen, hieß es, Angela Merkel nannte Facebooks Vorgehen „problematisch.“ Alan Rusbriger, Mitglied des Facebook-Boards, sagte vor einiger Zeit, dass er dem Staat und Regierungen eben auch skeptisch gegenüber stehe, wenn es um freie Rede und Regeln der Wahrheitsfindung gehe. Da sei der Versuch mit dem Oversight Board immerhin ein Zwischenweg, den man pragmatisch verfolgen könne.

Tatsächlich zeigt die Entscheidung des Boards jetzt, dass dieses Privatgericht bei Facebook zwar intern für besseres Housekeeping sorgen kann, im Großen und Ganzen Zuständigkeiten aber nur verschleiert. Am Ende entscheidet dann Facebooks CEO, wann Trump wieder auf Facebook pöbeln darf. Und deshalb sind die besten Oversight Boards, trotz aller Risiken, eben doch demokratisch gewählte Parlamente, die besten Community Standards sind mit Mehrheit beschlossene Gesetze.

Die Europäer probieren das jetzt ohne Board, sondern mit dem Digital Services Act. Der soll die Pflichten besonders großer Plattformen, wie Facebook eine ist, beim Umgang mit illegalen Inhalten gesetzlich genauso regeln wie Melde- und Transparenzpflichten und Beschwerdemöglichkeiten. Auch da gibt’s noch viele Fragen und offene Punkte. Aber das Ergebnis könnte ein Oversight Regime sein, dass nicht davon abhängt, ob Mark Zuckerberg am Ende den Daumen hebt oder senkt.

Und das hätte auch schon fast wieder etwas Galaktisches.

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